Earthbag 2

Hallo, ihr Lieben!

Hier gibts keinen Strom. Wenn das Telefon auch nur annähernd diese zwei Wochen durchhalten soll: mit Bloggen aufhören. Taschenlampe aus. All so was. Keine Mails.
Wasser gibts auch nur im Teich und in Kanistern. Ab und zu kann man mit Generator und Pumpe die blauen Tonnen für Dusch- und Geschirrspülwasser aus dem Kanal füllen. Das ist zwar abgekocht trinkbar, aber sehr braun und riecht durchdringend nach Eisen. Das ist zweifellos ein Trinkkurort hier.
Das Hygienekonzept der Farm ist ausgeklügelt: Es gibt eine Eimerdusche (so warm, wie das Wasser durch die Sonne halt gerade geworden ist), eine Komposttoilette und für danach zwei Händewasch-Eimer: einen für die sehr dreckigen Hände und einen für die nicht so sehr dreckigen. Abends wird zuverlässig das Wasser gewechselt. Wenn jemand dran denkt.
Dasselbe Konzept trifft auf die drei Geschirrspül-Eimer zu. Leider denkt jeder was Anderes darüber, welches der Eimer fürs sehr dreckige Geschirr sei.

Ich weiß nicht mal, wo ich mit Schreiben aufgehört hatte. Im Konjunktiv.
… Und dann hätte ich vielleicht liebe Mails bekommen, die mich willkommen heißen, womöglich sogar von allen aus der Baugruppe. Und vielleicht hätte Emma von der Farm mir sogar bestätigt, dass ich da auf dem Hof aushelfen könnte, dann käme ich um die offizielle Quarantäne rum. Und dann wäre ich bestimmt so beglückt und guten Mutes gewesen, dass ich das Touristen-Verfolgungs-Formular ausgefüllt und mir die Bahnfahrkarten gebucht hätte. Und dann wäre ich vielleicht sogar heute Morgen um halb sieben losgefahren. Erst nach Brüssel, ganz normal, ganz easy: einsteigen, hinfahren. Dann in Brüssel in einen abgesperrten Hochsicherheitsbereich des Bahnhofs mit Durchleuchtetwerden, Gepäckröntgen und mehrfachen Kontrollen von Ausweis und Touristenverfolgungsformular. Mit Ausfragen. „Wohnen Sie in UK? Nein? Was wollen sie dann da? Auf einer Öko-Farm mithelfen? Warum gerade jetzt? Sie werden zugeben, dass das ein merkwürdiger Zeitpunkt ist…?“ Und dann hätte ich bestimmt vor Schrecken gestottert: „Ich…, ääh…, bin halt Sängerin und habe doch im Moment sonst nichts, was ich tun kann.“, Woraufhin er gesagt haben könnte: „Das klingt logisch.“Und vielleicht hätte er mich dann nicht in den Zug zurückgesetzt, sondern durchgewinkt. (Der einzige Vorteil von Gesichtsmasken ist, dass andere einem nicht an der Visage ablesen können, wann man Unsinn erzählt.) Und die nächste Kontrollstelle, an die ich mit zittrigen Knien gewankt wäre, hätte dann wirklich nur ein drittes Mal den Ausweis sehen wollen und das Gesicht, sonst nichts.
Und nach dem Tunnel wäre man bestimmt von Scharen von schwarz gekleideten Sicherheitspersonal empfangen worden, das einen weitergewinkt hätte, mit strengem Blick. Und bestimmt hätte ich mich zwar unwohl und unwillkommen gefühlt, wäre aber trotzdem weitergegangen, wo ich schon mal da war. Dann hätte ich mir eine überteuerte Fahrkarte gekauft und hätte mal wieder versucht, mit der DKB-Karte Geld zu ziehen. Und wie in Frankreich hätte das wieder nicht geklappt. Und dann wäre ich mit nur einmal Umsteigen Richtung Meer gefahren.

Und in der besten aller Welten hätte dann am Bahnhof, von dem aus es noch 2 Stunden Stunden Fußmarsch waren, jemand gesagt: „Julia? I’ve come to fetch you. I’m Terry from the course.“, und hätte mich, als ich auf der Beifahrerseite einsteigen will, grinsend ums Auto geschickt. „Wrong side. We’re in England.“ 
Und dann wäre ich auf einem verwilderten Gemüsegartengrundstück mit Jurte und Outdoor-Küche drauf freundlich von einer im Sand grabenden Gruppe empfangen worden, deren Mitglieder schon so fertig waren vom Schuften in der Sonne, dass sie nicht meiner Lage gewesen wären, mir auch nur ihre Namen zu sagen. Ich hätte nur noch beim Aufräumen helfen können.
Und wahrscheinlich wäre ich am zweiten Tag dann selbst schon zu müde gewesen, und überhaupt noch irgendetwas aufschreiben zu können, vom Wasserholen aus dem Teich, Erdeschleppen, mit der Spitzhacke das steinhart verdichtete kaputte Rundhaus Zerlegen, Lehmschaufeln und Säckefüllen, -zufalten und Mit-dem-15-Kilo Stampfer-Verdichten.

Zum Glück ist ja nun die Abstands- und Touristenquarantäneregel abgemildert, was euch erspart, eine komplette Bauanleitung im Konjunktiv lesen zu müssen.

Ob das Haus waagerecht stehen wird, misst man, indem man zwei Pflöcke einschlägt, sie mit orangefarbener Maurerschnur stramm verbindet, eine Mini-Wasserwaage an zwei Minihaken (die heißt „spirit level“, wenn das mal keine schöne Metapher ist…) daran hängt, und wenn sie waagerecht ist, an beiden Pflöcken die Entfernung der Schnur zum Boden misst. Ist eine Entfernung größer, muss da noch mehr Sand drauf. Und dann wieder plattstampfen. Ja, mit dem 15-kg-Ding. Oder mit dem 10-kg-Ding, für die Zartbesaiteten. Es ist nämlich zweckmäßig, dass das Haus sehr waagerecht steht, auch und gerade bei so ökologischen Dingen wie Lehmbauten.

Wer was über Earthbag-Bau wissen will, kann auch auf der Website des Erfinders der Methode http://www.cal-earth.org nachlesen und tolle Bilder sehen. Oder bei YouTube „Earthbag building“ oder „Superadobe“ eingeben, da kann man Leuten im Zeitraffer zugucken, wie sie in Windeseile Häuser damit bauen, das ist ziemlich lustig und oft eindrucksvoll.
Gedacht war das ursprünglich für Katastrophengebiete, in denen in kürzester Zeit mit genau dem, was auf dem Grundstück vorhanden ist und allen verfügbaren ungelernten Arbeitskräften von Kleinkind bis Uroma stabile, flut-, erdbeben- und kugelsichere Behausungen gebaut werden sollten. Und da erwies sich, dass die Rundkuppel im Gegensatz zu den meisten anderen Bauformen sogar draufstürzende große Bäume verträgt und das Reinstopfen der Erde in Futtersäcke aus Polypropylengewebe (oder alte T-Shirts o.ä.) erlaubt, auch Erde ohne jeden Lehmgehalt, selbst Sand, zu sehr stabilen Wänden zu verdichten. Und verputzt sieht das Ganze sogar extrem gut aus. Vor allem, wenn man die Architektur des Auenlandes schön findet.

Wenn man die fertigen Earthbag-Häuser unverputzt stehen lässt, verrotten die PP-Säcke unter UV-Einfluss in Rekordzeit, so dass der Regen die unverpackte Erde durchnässen kann, und dann (und quasi nur dann) stürzt so ein Earthbag-Haus schon mal ein. Genau das ist neben der Baustelle mit dem Kurshaus von vor zwei oder drei Jahren passiert. Von daher ist unsere Aufgabe, die dort verbaute Erde freizulegen und in unserem Bau wiederzuverwenden. Als Ausgleich müssen wir kein swimmingpoolgroßes Erdloch graben, um ans Baumaterial zu kommen.
Es erweist sich, dass die Erde auf der Farm ungeheuer lehmhaltig ist – so lehmhaltig, dass man sicher auch ohne Säcke ganz prächtig damit bauen könnte. Und die damals bauende Gruppe hat sie ganz außerordentlich zuverlässig gestampft und verdichtet. Und es sind über 30°C. Mit der Spitzhacke steinhart verdichteten Lehm kleinzubröseln und in Eimer und Schubkarren zu füllen, und immer wieder in halbzerfallenen PP-Säcken hängenzubleiben, das ist hier die größere Herausforderung als das Befüllen der Säcke.
Wenn ihrs leicht haben wollt, lasst euch einen Laster Erde kommen für so ein Projekt. Keinen gartentauglichen Mutterboden, sondern die Sand-Lehm-Schluff-Schicht drunter, die beim Bauen meist massenweise übrigbleibt.
Jedenfalls war das eingestürzte Haus trotz seines Eingestürztseins ein eindrucksvoller Beleg dafür, WIE hart plattgeklopfte Erde werden kann.

Das Ausgegrabene haben wir auf einen großen Haufen gekippt und erstmal gründlich gewässert, um es baufähig zu machen. Wenn man Klümpchen formen kann, die zerspringen, wenn sie auf den Boden fallen, ist es richtig. Tun sie das nicht, ist die Erde zu feucht. Kann man sie nicht formen, ist sie zu trocken und lässt sich später nicht verdichten. Notfalls später im Transporteimer ein bisschen zu feuchte Erde mit ein bisschen zu trockener mischen. Im Ernst. Wenn ihr so ein Haus baut, lasst euch nicht die falsche Konsistenz durchgehen. Das wäre eine MENGE Erde, die einem auf den Kopf fiele, wenn es nicht stabil genug wird. Man kriegt aber erstaunlich schnell ein Gefühl dafür, welches die ideale Feuchtigkeit ist.

Baubeginn. Auf die vorbereitete kreisrunde (mit Faden am Pflock gemessen) Drainage aus einem tiefen Graben voller Kies und dann Sand, gut verdichtet, wird der erste Kartoffelsack voller Erde gesetzt. Gefüllt wird er an Ort und Stelle, so dass keiner 50 kg Erde durch die Gegend schleppen muss, sondern immer nur einen Eimer zur Zeit. Bis auf Mati, eine 22-jährige Elfe aus dem Tessin mit Dreadlocks, kurzem Leinenkleid und großem braunem Augenaufschlag, die ohne mit der Wimper zu zucken, zwei volle Eimer durch die Gegend trägt, wo wir anderen sagen „Mach mal nur dreiviertelvoll, das reicht.“
“Kommt von der Gartenarbeit“, sagt sie entschuldigend.

Mit einem hölzernen „Batter“ oder „Whacker“, einer Art zigarrenkistenförmigem Klopfer mit Stiel, werden die Säcke an den Seiten plattgehauen, so dass sie wie Ziegelsteine aneinanderliegen. Die Öffnung des Sacks wird hochgehoben, der Inhalt dort besonders gut plattgeschlagen, und dann muss wie beim Geschenkeverpacken das überstehende Material ganz stramm eingefaltet und druntergestopft werden. Ist die Runde fertig, wird sie mit den mehrfach erwähnten schweren „Tampers“ (schwere Eisenplatte am dicken senkrechten Holzstiel, die man möglichst rückenfreundlich anhebt und mit Schwung auf die Sackoberfläche knallen lässt) plattgeklopft. Am Anfang macht das „mmurfff!“ beim Auftreffen, bei der dritten, vierten Runde etwa mach es „pöck!“, und fertig ist man, wenn es ungefähr wie „pingngngngng!“ klingt. Erst dann ist die Erde so verdichtet, dass der Bau solide wird. Auf die Weise legt man zwei bis drei Runden mit versetzten Fugen („staggered joints“) und lässt den Eingang möglichst ab Runde drei offen – wenn man es nicht zu spät bemerkt. (Ähem. Jetzt haben wir halt eine schön hohe Schwelle, auf der man später in der Morgensonne sitzen kann.)

Morgen mehr.

Liebe Grüße
Julia

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