

Hallo ihr Lieben,
ihr müsst jetzt nicht denken, dass ich bis zum Ende des Kurses zu wenig zum Säckefüllen kam. In den letzten Tagen hab ich richtig viel gebaut.

Zum Teil mit heftig schlotternden Knien, weil es durch reichlich strömenden Regen oft wahnsinnig glitschig da oben war. Und es gibt ja kein Geländer. Nur Stroh auf dem Boden für den Fall des Falls. Die Strohballen waren eigentlich als Kletterhilfe gedacht gewesen, aber nach zwei, drei Tagen Draufklettern zerlegen sie sich zu Bodenpolsterung ohne Stufeneffekt.
Und dann steht man da oben, zerrt am Erdsack, sagt der Einfüll-Hilfe „Jetzt!“ und „Stopp!“ und ist hochkonzentriert und ängstlich und begeistert, dass es geht und schrecklich angespannt. So sehr, dass ich, endlich wieder unten war, zittrig war und kurz vorm Heulen. Terry guckte oben vom Haus runter.
„You need a hug?“
„Yes, please!“
Er schwang sich über die treppenförmigen Befestigungsmauern nach unten und zerdrückte mich beinahe. (Selbstverständlich haben wir dabei 1,50 m Abstand gehalten, ist doch klar.) Ich heulte natürlich wieder wie ein Kind.
Aber ist das nicht irgendwie das GANZE Leben? Heldentaten UND Heulen?
Nur weil ich hier schufte wie Herkules, muss ich doch nicht diesen Indianerherz-kennt-kein’-Schmerz-Quatsch auch gleich mitmachen!
So ganz allmählich kriegten wir das Gefühl, dass wir diese Kuppel eventuell, wenn wir richtig ranklotzen, DOCH noch fertig kriegen könnten. Und tatsächlich. Obwohl man für die obersten Runden eine Eimerkette mit Leiter brauchte und oben nur noch jeweils ein Paar zur Zeit arbeiten konnte, waren die Runden ja auch kürzer, die Schläuche dünner und unsere Technik besser.
Kurz: am letzten Kurstag im strömenden Regen gegen 6:00 Uhr Abends füllten Dave und ich den Schlusssack und klopften ihn fest, mit netter kleiner Spitze, von der der Regen abperlen kann.
Dann nahm Terry den großen Tamper und rammte wie ein römisches Heer beim Stürmen der belagerten Stadt die Beine unter der Form des Gewölbes weg. Sie sackte, genau wie sie sollte, auf die Mauervorsprünge darunter, und wir zogen sie raus. Und das Gewölbe stand!

Und der Regen hörte auf. Wir alle jubelten und waren ganz fassungslos.
Ein kleines Häufchen aus totalen Bauneulingen hatte in sieben Tagen eine Rundkuppel mit Gewölbebogen als Eingang, Belüftungssystem und Fenster gebaut!
Und wir alle wissen jetzt, dass jeder und jede von uns das kann.
Jeden einzelnen Schritt dafür.
Wir alle haben mit Säge und Beil und Tamper und Klopfer gearbeitet, haben ungeahnte Hilfsmittel kennengelernt wie die „spirit level“ und den Fadenzirkel in der Kuppelmitte (zum Messen, ob jede Runde rund ist oder Klobrille) und Vertrauen in die eigenen Fähigkeiten gewonnen.
Louie und Caz haben die Fertigstellung unseres Werks gar nicht mehr mitbekommen, weil sie schon am Vorabend abreisen mussten.
Ich glaube, sie haben auch nicht wirklich daran geglaubt, dass wir fertig werden würden, und wollten sich den Frust ersparen.
Nun haben sie eine Menge Fotos und Filme bekommen – wenn das mal nicht noch viel frustrierender war!

Abends haben Nina und Dave Terry und mich, die beiden Zeltbewohner, in ihre reizende Ferienwohnung eingeladen, zum Heiß-Duschen, Wäschewaschen, Aufladen aller elektronischen Geräte, Fotosbegucken und gemeinsamen Essen. Es war herrlich. Das war ja so ziemlich das einzige Mal, dass ich das Farmgrundstück verlassen habe. So brav war ich denn doch.
Und um meinen Status als Farmhelferin zu rechtfertigen, habe ich zwischen den Kursen die Outdoor-Küche geschrubbt (es war nötig! Aber total sinnlos, weil die Katzen sofort mit lehmigen Pfoten wieder über alles gelaufen sind und die Tochter von Emma und Stuart ihren 14. Geburtstag mit gleich zwei Gartenpartys mit selbstkochenden Jugendlichen beging), ungefähr eine Million Disteln aus dem Gemüsegarten gegraben und mich durch Paulinas in der Gartenjurte gelagerte wunderbare Bibliothek von Natural-Building-Büchern geschmökert. Von Anleitungen zum Bau des perfekten geruchlosen wartungsarmen Kompostklos bis zu „The Hand-Sculpted House“ von Evans/Smith/Smiley, das ich unbedingt zum Geburtstag haben muss.
Allen, die sich schon mal gefragt haben, warum wir eigentlich unhinterfragt alle in schachtelförmigen Behausungen leben statt in handgematschten Hobbit-Wohnungen, sei dieses Werk glühend empfohlen.
Vorsicht, es besteht die Gefahr eines folgenreichen Paradigmenumsturzes, gefolgt von der Suche nach einem sonnigen Hanggrundstück mit lehmigem Boden zum Bauen.
Weiß jemand, wo ich so eins herkriege?
Viele liebe Grüße
Julia
Fotos aller Earthbag-Beiträge: J. Hagemann und T. Beckett