Anscheinend gab es Schwierigkeiten mit den Fotos. Wer die erste Lehmputz-Folge noch mal bebildert sehen möchte, kann das hier.
Hallo ihr Lieben!
Das bleibt natürlich nicht so, dass man am zweiten Tag die Techniken vom Vortag schon leicht findet….

Kalkputz ist ein schönes Beispiel. Die gut verstreichbare Leberwurst von gestern verhält sich heute wie nasser Sand. Man kann den Putz auf der Unterseite der Fensterleibung verteilen, klar, aber kaum zieht man die Hand weg, kommt er wieder runter, und das so regelmäßig und dickköpfig wie ein Kleinkind, das gerade gemerkt hat, wie lustig es ist, seinen Schnuller aus dem Wagen zu schmeißen und zu warten, bis ihn einer aufhebt, nur um ihn dann mit herausforderndem Blick sofort wieder zu schmeißen.
Im Prinzip brauchen wir uns nicht zu wundern, unsere Hunde trainieren wir ja auch genau auf diese stumpfsinnige Reaktion.
Und so hob ich denn wieder und wieder die abgestürzten Bröckchen an, vermischte sie mit frischem Material, mit etwas mehr Wasser, mit etwas mehr Lehm, mit etwas mehr Kalk, klebte sie wieder in die Fensteröffnung und sammelte sie wieder auf.
Das Ganze erinnerte sehr an meinen Versuch, die Schlafzimmerwand zu verlehmputzen vor neun Jahren.
Irgendwann kam Paulina (irgendwann kommt sie immer) und konstatierte: „Too dry! Lime LOVES wet!“ Sie ließ mich die erste Kalkschicht ordentlich vorwässern und den Matsch für die zweite viel matschiger machen – und ab da ging es wieder. Allerdings war die erste Schicht so trocken, dass sie das Wasser aus der zweiten geradezu raussaugte, und das Ganze trocknete wahnsinnig schnell. Als ich also an der Innenseite des Fensters darangehen wollte, Ornamente reinzuschnitzen bis zu meinem schönen roten Unterputz, da war es schon zu spät und der Putz so hart, dass ich nur noch ein verlorenes Blümchen in die (gelb unterlegte) weichste Ecke ritzen konnte, der Rest war schon wie Stein.

Zumindest auf der Außenseite der Wand haben wir aber noch ziemlich viele Muster hingekriegt.
Weil sich die drei anderen nicht getraut haben, wurde ich verdonnert, einen zusammengerollten Fuchs und einen stilisierten Hirsch auf die Wand zu zeichnen. Nach Vorlagen, die Paulina mir auf dem Handy-Bildschirm rüberreichte. Und Matilde hat eine großartige Sonnenblume um das olle Lüftungsrohr geschnitzt. Und Nina hat auf ihr Baum-Relief eine rot-gelbe Eule gesetzt und rote und gelbe Blätter von den Ästen wehen lassen. (Sie hatte die Wand erst gelb und dann rot verputzt, bevor sie mit der Kalk-Leberwurst anfing, so dass sie jetzt, je nachdem wie tief sie einschnitt, wahlweise gelbe oder rote Motive oder rote mit gelbem Rand oder umgekehrt hervorzaubern konnte.


Dave hat sich eine Weile gesträubt, er tut immer so, als hätte ers nicht so mit der Kunst, aber dann hat er liebevoll den Fuchs ausgeschnitten.

Wichtig ist dabei, dass die Schnitte (mit einem scharfen Küchenmesser oder einem Linolschnitt-Werkzeug oder einem Skalpell) ziemlich genau im 45°-Winkel eingeschnitten werden, so dass die Linien, wenn sie durch ca. 1,5 cm Putz durch müssen, ziemlich breit werden.
Von daher empfiehlt es sich, nicht allzu filigran vorzuzeichnen, das würde dann im Endeffekt eher eine Art schraffierter Fläche ergeben.
Um mein Fenster rum hatte ich nicht allzu viel Raum für Kunst, da habe ich mich an schlichte Ornamente gehalten. Aber eine kleine gelbe Maus, die vorm Fuchs wegläuft, die musste noch drauf. Was ihr nicht klar ist, ist, dass sie genau auf den Ast mit der Eule zuläuft. Natur ist unbarmherzig.

Es ist ganz wunderbar, wie gut wir inzwischen zusammenarbeiten. Ohne viele Worte übernehmen wir die Ecken, die als nächstes dran sind. Wenn sie allzu sehr im Wandviertel von jemand anders liegen, vergewissern wir uns kurz, dass der Jemand tendenziell eher dankbar als beleidigt ist, dass da jetzt weitergearbeitet wird, und dann werfen wir uns mit dem ganzen Herzblut daran, auch diese Stelle der Wand NOCH schöner werden zu lassen. Und manchmal beratschlagen wir kurz, ob da nicht irgendwo noch mehr ROT hin müsste (meistens einigen wir uns auf ja, mehr Rot), und dann zückt irgendwer eine der winzigen japanischen Putzkellen und bringt ein bisschen roten Putz auf irgend eine vorher braun gebliebene Kante auf.

Und immer, wenn eine oder einer von uns kurz weggeht, um was zu holen oder zu essen, und dann wiederkommt, bricht sie oder er in entzückte Ausrufe aus und strahlt. Selbst wenn sie / er nur zwei Minuten weg gewesen war.
Nebenher haben wir auch noch Lehmfarbe hergestellt. Mit der Weizenpaste (hatte ich schon erzählt, wie wir die gekocht hatten? Im Prinzip wie Schokoladenpudding ohne Zucker und Kakao) – jetzt weiß ich die Reihenfolge der Zutaten schon nicht mehr.
Irgendwas streute man ins Wasser und ließ es nass werden vorm Umrühren. Ich glaube, das waren die Pigmente. Und mit Wasser ist diesmal Weizenpampe gemeint. Und dann wird der feinstgesiebte Lehm reingekippt und doppelt so viel Sand und dann noch ein drittes Mal so viel Sand hinterher, und das Ganze muss die Konsistenz von Quark oder so haben. Dann kann man mit dem dicken Quast die Wand damit streichen, dreimal, und dann entweder ganz feucht noch alles spachteln, damit es wie glatter Putz aussieht, oder halbtrocken alles mit dem Schwamm verreiben, damit die Pinselstriche weg sind und es wie rauher Putz wirkt.
Ich hatte mich ja entschlossen, doch nicht die Nachtfähre zurück zu nehmen, sondern die am nächsten Tag um 14:00 Uhr, damit ich nicht am letzten Kurstag immer unter Zeitdruck wäre und an den letztmöglichen Zug dächte. Von daher hatten wir alle jetzt die Ruhe weg und fanden immer noch mehr Ecken, wo wir nachschnitzen und noch mehr bunten Putz und bunter Farbe aufbringen mussten. Und die Kanten zwischen zwei verschiedenen, aber gleich hohen Putzschichten, die eigentlich NIE ordentlich werden, solange man noch kein japanischer Master Plasterer ist, die kann man dann (bei Lehm noch länger, bei Kalk immerhin so lange, bis er zu hart dafür ist) mit scharfem Messer und der berühmten 45°-Kante in herrlichen Linien in Form schneiden, so dass das alles genau so gewollt aussieht.

Und irgendwann gegen sechs war diese Wand tatsächlich unwiderbringlich fertig. Und wir standen und staunten. Über die Wand und über uns, die als blutige Bau-Laien vor zwei Wochen angereist sind und jetzt hergehen könnten und sich eine Behausung aus Erdsäcken bauen und zu einem hinreißenden und regenfesten Kunstwerk verputzen könnten. Wir jubelten und fielen uns um den Hals (wir waren ja inzwischen zwei Wochen zusammengewesen, ohne dass jemand gehustet hatte) und machten eine Menge Fotos. Und dann wuschen wir die Werkzeuge. Und fielen uns wieder um den Hals und versprachen uns, uns gegenseitig bei allen Bauprojekten zu helfen.

Am Ende des Kurses haben wir noch ausprobiert, wie leicht oder schwer unsere Probe-Pattys zu zerbrechen waren – sie waren alle verblüffend stabil. Die mit dem langen Stroh drin waren fast nicht kleinzukriegen. Das verheißt Schönes für die Stabilität nicht nur eines Lehmputzes, sondern auch von Strohlehm-Mauern.

Es ist so irre, dass man so viel so Grundlegendes einfach lernen kann. Einfach so. Von Nicht-handwerklich-geschickt zu Brauchbare-Verputzerin mit Ansätzen von Ahnung vom Handwerk und etlichen guten Putzrezepten und ihren Abwandlungen im Kopf. Plötzlich rückt das Verwirklichen von Träumen in ganz greifbare Nähe, und man merkt, dass es nur nötig war, zu gucken, was man denn können muss, um sich den Traum verwirklichen zu können, und dann nachzugucken, ob man das lernen kann, und dann: es zu lernen. Und die meisten Sachen KANN man ja lernen. Manches ist komplizierter, Reetdächer sind eher nichts, um sie in einem Zweiwochenkurs herstellen zu lernen. Aber wie sinnvoll, daraus nicht den Schluss zu ziehen, ALLES Bauen sei nur mit vierjähriger Lehre plus Ingenieurstudium zu bewältigen!
Also, ich bin jedenfalls hin und weg.
Die anderen fuhren dann einer nach der Anderen. Von Matilde konnte ich mich fast nicht trennen. Wir mussten einige Male umkehren und uns ein weiteres Mal umarmen.
Paulina und Walter haben mich dann freundlicherweise noch mit zu sich genommen zum Telefon-Aufladen und Duschen – beides dringend nötig. Dann bin ich bei einbrechender Dämmerung eine halbe Stunde zurück zur Farm gelaufen – das erste Mal, dass ich im Ort zu Fuß unterwegs war. Ich war ja so self-isolated gewesen, dass ich das Grundstück quasi nicht verlassen hatte.
Als ich ankam, war das Tor zu und mit Kette gesichert. Anscheinend hatte Stuart nicht damit gerechnet, dass ich die Nacht noch da übernachten wollte. Seitlich über eine brombeerige Böschung und hohes nasses Gras kam ich aufs Grundstück. Das Zelt hatte ich mittags schon abgebaut und schlief in der Jurte mit den beiden Katzen zusammen. Und morgens eilte ich zum ersten Bus – und stellte fest, dass ich meine eingewechselten 20-Pfund-Noten (die haben ein Fenster, wo man durchgucken kann!) noch nicht angebrochen hatte. Im Bus gibts aber grundsätzlich kein Wechselgeld. Und der Fahrer hatte keine Zeit, zu warten, bis ich irgendwo hätte wechseln können, und Euros wollte er auch nicht, also sagte ich ihm, dann solle er halt die 20 Pfund nehmen. Daraufhin sagte er „Travel!“, und schob mir die Banknote wieder rüber.
Und als ich mich am Bahnhof von ihm verabschiedete und ihm noch mal ganz schrecklich gedankt habe, da sah er schon nicht mehr so grummelig aus.
Nach unserem friedlichen Bauen auf dem Bauernhof war dann London, vor allem St. Pancras, wieder Stress pur.
Mit wahnwitzigen Sicherheitsmaßnahmen und ständigem Zurückpfeifen und Ordnen („ZWEI Meter Abstand bitte, ja auch Sie! Und nicht DA lang, sondern da. Und nicht so nah an meinen Schalter bitte. Maske hoch. Nein, links lang! ZWEI Meter Abstand bitte, ein Meter ist es erst ab morgen!“) Wenigstens eine Angestellte zwinkerte mir zu, als ich sagte: „Ach so, heute ist das alles noch viel gefährlicher, oder?“
Ich hatte nämlich doch nicht die Fähre nehmen können, weil sie nicht um zwei fuhr (das war die Abfahrt von Hoek van Holland gewesen, nicht die von Harwich), sondern schon morgens um neun – nicht zu schaffen mit der Bahn. Also wieder Eurostar, zu atemberaubenden Phantasiepreisen. Da hätte ich auch mit der Nachtfähre in der Erste-Klasse-Außenkabine fahren können.
Nächstes Mal dann. Nächsten Sommer macht Paulina einen Strohballen-Baukurs, und wir wollen alle wieder mitmachen.
Ich halte euch auf dem Laufenden.
Viele liebe Grüße
Julia

Fotos der Lehmputz-Seiten: Nina Kitchin (fast alle) und ich.