26.10.-1.11. unheimlich kreativ in Bayern

An den Fliesenbruchmosaiken links hab ich vor 11 Jahren mitgebaut! Sie sind immer noch im Garten von Haus Buchenried zu sehen.

Hallo ihr Lieben,

ich komme gerade von fünf Tagen Kurs, der tatsächlich stattgefunden hat! Unfassbar. Ich habe die halbe Hinfahrt im Zug darauf gewartet, dass das Telefon wieder klingelt und alles abgeblasen wird.
Das war nämlich letzten Freitag noch so, wo ich unterwegs zu ein paar Stunden Kleingruppen-Stimmbildung in großen Gemeindesälen bzw. Kirchen in Nordhessen war. Als ich in Hamm umstieg, kam der Anruf: Wir dürfen leider doch nicht. Es wären zwar alle aktuell geltenden Auflagen erfüllt, aber es ist der Kirche doch zu brenzlig.
Im Gegensatz zu fast allen anderen Absagern wird von den drei beteiligten Gemeinden allerdings das vereinbarte Honorar bezahlt.
Von daher saß ich dann zu Hause ohne Finanzpanik und machte Filmchen zu Kreativitätstechniken. Für den Fall, dass der Kreativkurs ausfiele, damit meine Leute dann zumindest allein zu Hause ein paar lustige Sachen schreiben könnten.
Aber die Moral sank doch dabei.
Und immer wenn ich Singen geübt habe für den unwahrscheinlichen Fall, dass der Kurs und auch das dazugehörige MiniKonzert mit Annette stattfinden würden, sank sie noch mehr. Ich klang so grauenhaft, dass ich schon sicher war, Stimmbandknötchen zu haben. Und wahrscheinlich nie wieder für irgend ein Publikum zumutbar zu sein.
Als ich mit Annette telefoniert habe, um sie vorzuwarnen, blieb sie bemerkenswert gelassen und meinte: „Lass uns in Ruhe abwarten, ich übe weiter. Mein Gefühl sagt, dass der Kurs stattfindet und das Konzert auch, und dass alles richtig schön wird.“ „Aber klar!“, habe ich ironisch gedacht, „Träum weiter.“
Natürlich habe ich die Kursvorbereitung trotzdem bis zum Ende erledigt, weil man ja nie wissen kann. Und weil ich dachte, sie könnte mir für die Video-Fassung des Seminars nützlich sein.

Ich habe extra am Montag den spätestmöglichen Zug genommen, um, wenn der Absageanruf kommt, nicht so weit zurückfahren zu müssen. Um neun bei Büroöffnung in Buchenried kam aber noch gar kein Anruf. Erst gegen elf kurz vor Hannover klingelte das Telefon. Der Hausmeister von Buchenried. „Ich stelle gerade die Tische für Ihr Seminar. Wieviele brauchen Sie? Und E-Piano, Tafeln und Notenständer, ist das richtig?“
„Er stellt die Tische!!!!“, dachte ich. „Sie machen es echt!“

Kaum in B. angekommen, ertappte ich mich dabei, wie ich munter summend durch die Gänge eilte.

Natürlich war alles anders als sonst. Einbahnstraßen, kursweises Essen an Einzeltischen in mehreren Schichten – und wir waren auch noch die frühe Schicht, was meine schöne Planung, die Lüftungszwangspausen hinten an den Vormittagsunterricht dranzuhängen, sofort sabotierte. Und Einmalhandschuhe am Buffet und Maske auf den Gängen. Und die amüsante Info, dass wir im Speiseraum die Tische hätten zusammenrücken dürfen, um gemeinsam zu essen, ohne Masken, im Seminarraum aber keinesfalls. Das eine ist Gastronomie-Regelung, das andere Erwachsenenbildungs-Regelung. Der Aufwand und die Kosten für die Anschaffung der ubiquitären Desinfektionsmittelspender und Einmalhandschuh-Boxen, die Raumplanung und die Reduzierung der Kursgrößen für alle Seminare dürften nicht unerheblich gewesen sein.
Pech, dass man das jetzt wahrscheinlich nicht weiter benutzen darf.

Noch nie habe ich in Buchenried am vierten Abend Leute im Haus gesehen und gedacht: „Was sind denn das für welche? Wo kommen die her? Waren die vorher schon da?“ Normalerweise unterhält man sich beim Essen und auf den Fluren quer über alle Kursgrenzen, inspiriert sich gegenseitig, macht Lust, auch einmal ganz andere Dinge auszuprobieren und freut sich auf den Abend, wo alle geeigneten Kurse sich gegenseitig etwas vorsingen, Bilder zeigen, Tanzaufführungen machen oder Lesungen mit Musik.
Aber: Wir hatten das Glück, genau in der Woche da zu sein, in der im Unterricht selbst, sowie alle am Tisch saßen, die Masken weggelegt werden durften. Gemeinsames Lachen steckt ja so viel mehr an, wenn man die Lachfalten der anderen sich kräuseln sieht.
Und gelacht haben wir. Meine Güte, tat DAS gut! Von Tag zu Tag wurden wir munterer. Am Anfang war ich noch ein bisschen angespannt, weil ich ja wie üblich so schrecklich gern WOLLTE, dass alle ganz toll viel Kreativität entfalten, und ein bisschen Sorge hatte, dass meine Aufgaben das vielleicht nicht schaffen oder nicht für alle geeignet und beflügelnd sind.
Und weil ich doch recht streng geplant hatte mit eisernem Übungsprogramm, das vormittags so ein paar sich wiederholende, aufeinander aufbauende Bootcamp-Übungen beinhaltete. Damit man sehen kann, dass es leichter und vergnüglicher wird, und weil man ja doch manche Sachen leider durch Üben und Training lernt und nicht durch eine blitzartige Erkenntnis, die einen dann bis ans Ende des Lebens weiterträgt.
Von daher wurde jeden Morgen fünf Minuten nur über Sinneswahrnehmungen geschrieben (jegliches Reflektieren und kluge Nachdenken sollte ausgespart werden, was einigen ziemlich schwer fiel).
Regenschirm. Wie fühlt der sich an, wenns draufregnet? Wie riecht es, wenn man ihn spazierenträgt? was ist zu hören?
U-Bahn-Schacht.
Schwimmbad. Das war sehr spannend. Von kreischenden Hallenbadkindern über morgendliches Schlachtensee-Schwimmen bis zu Badehosenverlust am Beckenrand war alles vertreten, und allmählich strotzten die Texte vor starken Bildern und individuellen Ein- und Ausdrücken.
Am letzten Tag: Haare. Ojojoi. Borstige Seemannswolle, seidige Locken und der beherzte Griff in den verstopften Badewannenabfluss und was da so zutagekam – das Spektrum war großartig.

Außerdem haben wir eine Kreativitätsübung gemacht, die als „Remote Associates Test“ in den 60er Jahren von Martha und Sarnoff Mednick entwickelt wurde, und die Annette Müller (die ANDERE Annette) der Griffigkeit halber „Drillinge“ getauft hat.
Ich erklärs euch, falls auch ihr dieser Sucht verfallen wollt.
Man sucht sich ein „Teekesselchen“, am besten mit drei verschiedenen Bedeutungen eines Wortes, und baut dieses Wort dann in drei zusammengesetzte Wörter ein, die jeweils mit einer anderen dieser drei Bedeutungen spielen. Das Teekesselchen darf dabei vorn oder hinten stehen. Muss aber direkt angebaut werden, ohne Bindungs-s oder –n.
Sagen wir, das Wort „Stuhl“ bringt uns auf die Ideen
„Schaukelstuhl, Richterstuhl und Stuhlgang“.
Dann entfernen wir aus allen dreien den gemeinsamen Teil und behalten übrig: SCHAUKEL | RICHTER | GANG.
Ich schreibe alles in Versalien, damit Groß- und Kleinschreibung weder zu viel verrät noch in die Irre führt.
Wer das jetzt raten will, probiert im Kopf alles durch, was Erfolg verspricht. Weiß aber nicht, wo eine erste und wo eine zweite Hälfte gebraucht wird.
Hollywoodschaukel, Hollywoodrichter, Hollywoodgang?
Kinderschaukel, Richterkinder, Kinder-Gang? Möglich….
Im Idealfall macht es, wenn man das richtig passende und nicht nur an den Haaren herbeigezogen passende Wort findet, ein befriedigendes „Klick!“ im Hirn.
Hier sind ein paar:

BLUMEN | KONFERENZ | ZITRONEN
TAKT | JAHRE | WILD
WISCHER | BROT | KLEISTER
LOCH | KLINGEL | AUGE
TABELLE | ÜBER | HAND
MAL | SCHRAUBEN | LIEBE
(Auflösungen im nächsten Blog)

Mednicks haben das als Kreativitäts-TEST entwickelt (wobei er nur die verbale Kreativität misst), es ist aber klar, dass das auch als Kreativitäts-TRAINING, also als Training darin, diese Verbindungen schnell und leicht zu sehen, funktioniert.
Na, und nachdem das erste Gejammer, dass das aber schon SEHR schwer sei, verklungen war, wurde es enorm still im Raum, und man sah die Gehirne leise qualmen. Eine Teilnehmerin hat direkt die Familien-Chatgruppe damit infiziert. Ha! Weiter so. Warum soll es anderen besser gehen als Luisa und mir. Unsere SMS-Verläufe sind inzwischen bedenklich. Im Minutentakt gehen da die Aufgaben und Lösungen hin und her, mittlerweile auch mit angenagten Wörtern. Eins von Luisa:
GRAD | KÜCHEN | GEBNIS.
Mann, hab ich lange gebraucht, bis ich drauf kam, dass sie MESSER meinte. Gemein!

Mit Annette Cieslinski, meiner Pianistin, habe ich dann tatsächlich auch ein winziges Konzertlein gegeben. Ursprünglich fürs ganze Haus plus Gäste gedacht, dank Corona dann auf erst eine halbe Stunde, dann auf die TeilnehmerInnen meines Kurses beschränkt. Im zweistöckigen Foyer mit jeder Menge Platz.
Und nach und nach sammelten sich im unteren Stockwerk unter der Galerie (aerosolgeschützt durch 10 m Abstand und eine solide Betondecke) immer mehr aus den anderen Kursen, das hörte man am Applaus. Angeblich haben sie sogar Text verstanden.
Was TAT das gut, mal wieder richtig Musik zu machen. Miteinander. Für Leute. Für echte Menschen! Und anscheinend nicht nur mir, sondern sogar den ZuhörerInnen auch! Wenn man ihnen Glauben schenken darf. Ein riesiges Geschenk, das Ganze.

Es war ein großer Jammer, sich von fünf Tagen Gelächter und Feuerwerk zu verabschieden. Und unfassbar, wie anders die Stimmung wird durch so was. Von „Alles Sch…e!“ zu „Hurra, mich kann nix umschmeißen!“ in weniger als einer Woche.
Gemeinschaft, Lachen und kreativer Selbstausdruck scheinen irgendwie recht förderlich zu sein. Sollte man vielleicht öfters anwenden.

Auf dem Rückweg vom Kurs habe ich mit Annette C. noch ein paar Leider aufgenommen. Nicht perfekt, aber mit viel Spaß und trotz der kleinen Unebenheiten schön. Hier ist zum Beispiel der Blinde Fleck für euch. Wenn ich das selbst begleite, muss ich immer eine simplere Klavierbegleitung spielen, Annette kann ich mehr zu tun geben.

Nebenher bin ich dabei, den Kreativkurs, OBWOHL er stattgefunden hat, auch in digitaler Form häppchenweise zugänglich zu machen. Die Website ausschließlich mit Kursspielwiesen ist in Arbeit. Drillinge kommen auch drin vor. Und lauter lustige Sachen. Ich halte euch auf dem Laufenden!

Nebenher mache ich ja ein geniales Coaching zur beruflichen Neuorientierung. Jeden Dienstag Abend eine Videokonferenz mit kleiner Gruppe, die in den verschiedensten Ecken Norddeutschlands sitzt und unter kompetenter Anleitung herausfindet, welche verschütteten Leidenschaften und Lebensträume jetzt umgesetzt werden wollen. Ich erzähl euch demnächst von den enorm erhellenden Übungen und Erkenntnissen!

Für heute reichts. Ich wünsche euch schöne Tage und schicke demnächst für alle, die zu viel allein zu Haus sitzen und sich nach Anregungen sehnen, kreative Schreibspiele vorbei. Wer mir dafür wieder eine freiwillige Kursgebühr schicken will, ist sehr willkommen. Wobei diejenigen, die noch was verdienen, vermutlich keine Zeit zum Mitmachen haben, und diejenigen, die Zeit haben, allmählich die Pfennige zusammenkratzen müssen (und dann natürlich wie gehabt gratis mitmachen dürfen und sollen).

Viele liebe Grüße
Julia

Die Konzertfotos sind von Andreas Laus aus dem Fotokurs von Sabine Klem.

Ein Kommentar zu “26.10.-1.11. unheimlich kreativ in Bayern

Hinterlasse einen Kommentar

Erstelle eine Website wie diese mit WordPress.com
Jetzt starten